Der eucharistische Jesus, Quelle des übernatürlichen Lebens
Teil I

 

Liebe Töchter, was ist das Leben des Menschen? Das Leben des Menschen ist die vergänglichste Sache; ein bisschen Dunst, der sofort vergeht; das Bild einer Wolke, die sich durch den leichtesten Windhauch verflüchtigt. Und doch ist das Leben ich sich selbst nicht verachtenswert – im Gegenteil: nichts ist wunderbarer, mystischer und außerordentlicher als diese Art zu sein. Wie eine unüberwindbare Mauer trennt es die beiden Reiche des Organischen und des Nicht-Organischen, ohne dass die Bemühungen der falschen Wissenschaft es zerstören hätten können. Andererseits haben die Forschungen der echten Wissenschaft nicht erklären können, was das Leben ist. Das ist das große Problem der Biologie, der Philosophie und in gewisser Weise sogar der Theologie, die ihre Herrschaft auch über die Regionen des Übernatürlichen ausdehnt. Wie oft spricht die Heilige Schrift vom Leben?! Wenn sie vom Leben redet, geht sie immer von Dem aus, der die Quelle des Lebens ist und der das Leben nicht nur besitzt, sondern der das Leben selbst ist. Und was wird nicht alles vom Leben gesagt, welches manchmal gut und manchmal schlecht, manchmal glücklich und manchmal unglücklich ist? Wir sprechen sehr viel über das Leben des Leibes und über das Leben der Seele, über das zeitliche und das ewige Leben. Das Leben an sich, in seiner Art und in den Ereignissen, die es begleiten, ist sehr unterschiedlich und man kann sagen, dass der Mensch alle Erscheinungsformen umfängt und allen Ereignissen ausgesetzt ist. Der Mensch hat Anteil am Leben aller Lebewesen, oder besser gesagt: er besitzt das Leben auf vortrefflichste Weise im Vergleich zu allen Lebewesen der niedrigeren Stufe und gleichzeitig nähert er sich der höheren Stufe. Wenn er es auch nicht kraft der Natur besitzt, so eifert er durch Gnade dem Leben der Engel nach, bis zu dem Punkt, am Leben Gottes teilzunehmen. Der Mensch teilt in gewisser Weise sein Leben den unbelebten Dingen mit, indem er dem Marmor und der Bronze Form und lebendigen Ausdruck verleiht, indem er mit den Blumen lacht und freundschaftlich mit den Tieren redet. Warum sollte Gott, der das Leben schlechthin ist, nicht weit mehr der vernunftbegabten Kreatur sein Leben mitteilen können? Über diese Mitteilung des göttlichen Lebens belehrt uns die Hl. Schrift und der christliche Glaube sagt uns, dass Jesus, unser Leben, auf die Erde gekommen ist, um dem Menschen das Leben zu geben. Er ist gekommen, nicht um das natürliche Leben zu geben, dass der Mensch ja schon besitzt, sondern das göttliche, vollkommene und überreiche Leben, welches eine Emanation des Lebens Christi selbst ist, welcher Weg, Wahrheit und Leben ist. Vor allem in der Eucharistie ist Jesus Quelle und Ursprung des übernatürlichen Lebens; aus ihr entspringt ein Strom an göttlichem, übernatürlichem Leben.

Liebe Töchter, denken wir daran, dass das Leben aus einem inneren und eigenen Prinzip gezeugt wird. Das Leben, das keine Grenze in Intensität und Dauer hat, kann nur ein Attribut der Gottheit sein. Nur Gott kann in all seiner Tragweite das Wort „lebe" aussprechen. Und Jesus, wahrer Gott und wahrer Mensch, hat gesagt „ich lebe" und zu den Jüngern „ihr werdet leben". Gerade kraft dieses göttlichen Wortes konnte der Apostel ausrufen: „Ich lebe, aber nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Diese wertvollen Worte sind von einer unnachahmlichen Erhabenheit. Sie sind Ausdruck des göttlichen Lebens im Menschen. Ich denke, dass es euch leicht fallen wird, daraus die hauptsächlichen Merkmale des übernatürlichen Lebens abzuleiten: seine Erhabenheit und Fruchtbarkeit, seinen Ursprung, seine göttliche Natur und den Schleier des Geheimnisses, der es bedeckt. Um die Würde diesen erhabenen Lebens zu verstehen genügt die Betrachtung, dass es das höchste und perfekteste ist, das ein vernunftbegabtes Geschöpf leben kann. Es ist das höchste aus intellektueller Sicht und es ist das perfekteste aus ethischer Sicht. Was ist das intellektuelle Leben? Wir nennen intellektuelles Leben die Aktivität der Intelligenz, die sich auf die Kenntnis und den Erwerb der Wahrheit richtet. So lebt der Weise, dessen Verstand immer mit der Suche nach den Wegen des Lichtes beschäftigt ist. Er bewegt sich mit erstaunlicher Aktivität in den unendlichen Räumen der Beziehungen unter den Wesen, ohne sich zu verzehren oder sich abzunutzen, so wie auch ein organisches und kräftiges Lebewesen sich immer weiter entwickelt und vervollkommnet. Die lebendige Tatkraft der intellektuellen Erkenntnis, die sich allein kraft der Intelligenz realisiert, ist staunenswert. Bedeutet die Erkenntnis der Wahrheit vielleicht nicht die erhabenste Art zu leben?! Das Leben des Menschen ist ein Leben des Glaubens: der Gerechte wird durch den Glauben leben. Welch eine Gnade, meine Töchter, im Glauben an den guten Jesus zu leben! Ich möchte, dass ihr gut über die Einwände nachdenkt, die ich jetzt vortrage: was ist die natürliche Wissenschaft im Vergleich zum Glauben? Welchen Wert haben ihre subtilen und elaborierten Spekulationen im Vergleich zu den wunderbaren und einfachen Offenbarungen des Glaubens? Man wollte weismachen, dass der Glaube in die Offenbarung die intellektuelle Aktivität unterdrückt und zerstört und hat ihn mit einer Parasitenpflanze verglichen, die den Baum tötet, den sie umklammert und von dessen Lymphe sie sich nährt. Nichts könnte falscher sein. Der Glaube ist weit davon entfernt, die Energie des Intellekts zu unterdrücken. Er belebt und kräftigt sie im Gegenteil. Mehr noch: er liefert ihr reiche Nahrung an erhabenen Wahrheiten, indem er Gott und seine Attribute, die Seele und ihre Bestimmung hervorhebt. In der Betrachtung und im Studium von diesen Wahrheiten kann der Mensch den ganzen Reichtum seiner Vernunft einsetzen, ohne die Themen je zu erschöpfen. Meine Töchter, besser noch als die Weisen können und die großen Kontemplativen, die Seelen, die wirklich zu lieben verstehen, die Tiefe und Erhabenheit des intellektuellen Lebens erklären. Ohne viel studiert zu haben werden sie wie ein neuer Elija im Feuerwagen des übernatürlichen Gebets bis in die höchsten Regionen getragen, die ein unwürdiger oder rein akademischer Mensch nie erreichen wird. Denkt daran, dass die vom Heiligen Geist Gott ähnlich gemachte Seele erreicht, so erhabene und göttliche Dinge zu kennen, dass sie in Worten gar nicht ausgedrückt werden können. Ich hoffe, dass ihr durch das, was ich hier gesagt habe, ein wenig die Würde jenes Lebens verstanden habt, das Gott der Intelligenz mitteilt und welches das erhabenste in der Art des intellektuellen Lebens ist.

Liebe Töchter, was ist das Kennzeichen der Menschen, dieses vernunftbegabten und besserungsfähigen Wesens? Das sogenannte ethische Leben. Ethisch leben heißt, sich in der Tugend und in der Liebe zu bewegen, voranzuschreiten und sich zu vervollkommnen und es heißt, diese Liebe und Tugend jeden Tag in der Ausübung der Nächstenliebe wachsen zu lassen. Außerhalb der Tugend gibt es kein Leben, das dieses Namens würdig wäre, sondern nur animalisches Leben der Sinne, das den Menschen dem Verfall preisgibt und ihn durch die Laster degradiert. Das ist kein Leben, das ist lebendiges Begrabensein, in dem man sich selbst wie ein Leichnam in der Verwesung zerstört. Welche rein menschliche Tugend, die im Erdreich der vernunftbegabten Natur sprießt und sich entwickelt, gleicht der Nächstenliebe, die Wurzel und Blüte des übernatürlichen Baumes ist? Meine Töchter, sie ist die Königin der Tugenden, Quelle heroischer Taten, schwieriger und glorreicher Unternehmungen und erhabener Opfer. Sie ist die überfließende Quelle höchster ethischer Lebendigkeit in einer Ordnung, die weit über jene der Natur erhaben ist. Der Preis dieser Tugend ist so hoch, dass ohne sie auch die vorteilhaftesten Gaben nichts wert sind. Die Nächstenliebe ist das Band der Vollkommenheit und sie über die Kraft des Willens erhaben, denn sie allein entspringt direkt aus Gott, so wie die Gnade, und ist die erste Frucht des Heiligen Geistes. „Die Liebe – so der heilige Johannes – kommt aus Gott und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm, denn Gott ist die Liebe". Die Liebe zu besitzen bedeutet, wirklich und in Fülle zu leben.

Meine Töchter, denken wir daran, dass die Fruchtbarkeit eine Eigenschaft des Lebens ist, denn so wie das Gute, neigt das Leben dazu, sich zu verströmen und zu verbreiten. Wenn die Fruchtbarkeit schon ein Attribut des tierischen und auch des pflanzlichen Lebens ist, warum sollte dann das höherer Leben des Geistes, oder schlimmer noch das göttliche Leben zu einer schmählichen Sterilität verdammt sein? Es gibt keinen Grund dafür. Im Gegenteil: in der Ordnung der Lebendigen gibt es keine wundersamere Fruchtbarkeit als jene des übernatürlichen Lebens, Ursprung wunderbarer und unerschöpflicher Kreativität. Sie lässt Tote leben, indem sie ihnen das Leben kraft eines geheimnisvollen Galvanismus mitteilt: durch ihre Stimme erheben sich die Leichen, im Kontakt mit ihr finden die Schwachen neue Kraft, durch ihren Einfluss werden die Kranken gesund. Wie das Licht dazu neigt, den ganzen Raum zu erfüllen und durch seine Gegenwart das Dunkel vertreibt, so verbreitet sich das übernatürliche Leben, welches das Licht des Glaubens und die Flamme der Liebe ist, in jeden Teil der Erde und erfüllt das ganze Universum mit Gütern. Aber dieses Leben, das in den Menschen gesenkt ist und sich in ihm entwickelt, gehört nicht seiner Natur an. Es schlägt seine Wurzeln nicht in der Tiefe seines Seins, wie es die Intelligenz, die Liebe und die Empfindsamkeit tun. Es ist ein Leben, das ihm fremd ist, ein Impuls, den er von außen erhält. Und von wem, wenn nicht von Gott selbst? Es ist das Leben Gottes in der Intelligenz und im Herzen seines Geschöpfes. Folgende Worte zeigen es deutlich: „Ich lebe; aber nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." (El pan 8, 494-513)


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ultimo aggiornamento 05 settembre, 2013